ProSieben sorgt dafür, dass bildgewaltige Shows, wie „The Masked Singer“, in der sich alles um die Optik dreht, für blinde und sehbehinderte Menschen genauso zum großen Entertainment-Spektakel werden wie für alle anderen Zuschauer. Über eine spezielle App wird genau beschrieben, was auf dem Bildschirm gerade zu sehen ist. So entsteht echtes barrierefreies Fernsehen für Alle.
Als erster Privatsender hat ProSieben im letzten Jahr Live-Audiodeskription angeboten. Mit dafür verantwortlich war Jeannette Diem, Senior Manager Content Acquisitions Dubbing & Material. Seit Jahren macht sie sich für das barrierefreie Angebot von ProSiebenSat.1 stark und kümmert sich neben der Synchronisation von Formaten auch um die Bereiche Untertitelung und Audiodeskription. Warum sind barrierefreie TV-Angebote so relevant und was macht die Audiodeskription von „The Masked Singer“ besonders? Darüber spricht sie gemeinsam mit Benedikt Hahn, Kommentator bei AUDIO2, Anbieter barrierefreier Lösungen für Film- und Fernsehproduktionen.
Seit Jahren setzt sich Jeannette mit ihren Kolleginnen für das barrierefreie Angebot der Sendergruppe ein. Und das mit Erfolg: ProSieben strahlt pro Tag durchschnittlich 20 Sendungen mit Untertiteln aus. Seit 2019 bietet der Sender zudem Live-Audiodeskription bei den Erfolgsformaten „Germany’s next Topmodel“ und „The Masked Singer“ an.
Medien sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Sie bieten uns nicht nur Informationen, sondern auch Gesprächsstoff.
Jeannette Diem Senior Manager Content Acquisitions Dubbing & Material bei ProSiebenSat.1
Seit wann bietet ProSiebenSat.1 Audiodeskription an und wie kam es dazu?
Jeannette Diem: Barrierefreiheit war innerhalb der Sendergruppe schon früh ein Thema. Bereits im Jahr 2000 starteten wir mit ersten Untertiteln und haben über die Jahre das Angebot für Menschen mit Hörbehinderung qualitativ und quantitativ immer weiter ausgebaut. Im letzten Jahr haben wir im Schnitt bereits 22 Prozent unserer Sendungen für Gehörlose untertitelt. Aber natürlich möchten wir gerne allen Menschen mit Behinderung die Möglichkeit geben, unsere Inhalte barrierefrei zu konsumieren, auch Blinden. 2019 haben wir uns deshalb mit Blindenverbänden ausgetauscht. Zu diesem Zeitpunkt lief gerade unser Erfolgsformat „Germany’s next Topmodel“ auf ProSieben und wir stellten uns die Frage: Warum das Finale nicht mit Audiodeskription für Blinde und Sehbehinderte ausstrahlen?
Was ist Audiodeskription?
Unter Audiodeskription versteht man eine akustische Bildbeschreibung, deren Ziel es ist, audiovisuelle Medien für blinde und sehbehinderte Menschen besser erlebbar zu machen. Speziell ausgebildete Kommentatoren beschreiben in Sprechpausen zentrale Handlungselemente, Personen, Gestik und Mimik akustisch, ohne jedoch die Atmosphäre eines Films, einer Serie oder Show zu beeinträchtigen. Bei einer vorgeschriebenen Audiodeskription, beispielsweise für einen Film, geht ein Redakteur zusammen mit einer blinden Person, die als Referenz herangezogen wird, das Material durch und fertigt eine Beschreibung an, die anschließend von einem Sprecher eingesprochen wird. Bei einer Live-Audiodeskription hingegen beschreiben die Kommentatoren das Bild, das sie in diesem Augenblick sehen.
Ließ sich das so schnell umsetzen?
Gemeinsam mit unserem Partner AUDIO2 haben wir in kürzester Zeit eine Lösung gefunden, wie wir unserem blinden und sehbehinderten Publikum eine akustische Bildbeschreibung über eine App zur Verfügung stellen konnten. Damit hat ProSieben im letzten Jahr als erster Privatsender Live-Audiodeskription angeboten: beim GNTM-Finale ebenso wie bei der gesamten ersten Staffel von „The Masked Singer“. Dieses Angebot konnten wir auch mit den jeweils neuen Staffeln 2020 fortführen – für den User ganz unkompliziert über die ProSieben Live Audio-App nutzbar.
Benedikt, Du hast gemeinsam mit Deinen Kolleginnen von AUDIO2 die Audiodeskription bei der ersten bzw. der zweiten Staffel von „The Masked Singer“ gesprochen. Was macht die Arbeit an dieser Show so besonders?
„The Masked Singer“ ist eine aufwändig produzierte Liveshow, voll von spektakulären Bildern, was natürlich vor allem mit den aufwändigen Kostümen zusammenhängt. Die beschreiben wir live für unser blindes und sehbehindertes Publikum, genauso wie vorproduzierte Einspieler und alles andere, was in der Show geschieht. Die Herausforderung dabei: Auch wir wissen vor der Ausstrahlung nicht, was passiert. Unsere Aufgabe ist es, live den richtigen Moment für eine Beschreibung zu erspüren.
Als Schauspieler und Sprecher steht Benedikt nicht nur selbst vor der Kamera oder auf den Theaterbühnen des Landes: Er leiht auch fremdsprachigen Schauspielern und Figuren seine Stimme, kommentiert Sendungen oder spricht die Live-Audiodeskription bei großen TV-Shows.
Mit unserer Art der Moderation möchten wir lebendige Bilder in den Köpfen unserer Zuhörer erzeugen.
Benedikt Hahn Sprecher bei AUDIO2
Welche Herausforderungen musstet Ihr bei der Audiodeskription für „The Masked Singer“ meistern?
Benedikt Hahn: Es geht immer darum, sowohl den Gesamteindruck als auch Details zu beschreiben, ohne über den Gesang oder wichtige Moderationsparts von Matthias Opdenhövel zu texten. Schließlich stehen die Stimmen der Prominenten klar im Vordergrund und jeder will mitraten, wer unter den Masken steckt. Wir beschreiben daher punktuell und minimal, um die eigentliche Show nicht zu stören. Es ist immer ein Abwägen: Welche Beschreibung ist nötig, sodass der Blinde oder Sehbehinderte mit einer gewissen Restsehkraft wichtige Informationen erhält, die er sonst verpassen würde. Mit unserer Art der Moderation möchten wir lebendige Bilder in den Köpfen unserer Zuhörer erzeugen. Das verlangt uns einiges an Konzentration ab und strengt an. Aus diesem Grund sprechen wir eine Liveshow auch immer zu zweit und wechseln uns ab.
Bereitet Ihr Euch auf die Shows besonders vor?
Benedikt Hahn: Auch wir wissen nicht, welche Prominenten sich unter den Masken verbergen und rätseln natürlich mit. Vorab schauen wir uns zum Beispiel Fotos der Kostüme ganz genau an und überlegen, wie wir diese am besten für unser Publikum beschreiben können. Indem wir bestimmte Details herausgreifen, schaffen wir es, dass auch blinde und sehbehinderte Fans eine Vorstellung von den Kostümen haben, zum Beispiel den changierenden Pailletten beim Chamäleon oder den zahlreichen Blumenköpfen auf dem Kleid des Hasen. Aber der Großteil unserer Beschreibungen kommt aus dem Moment: Wir springen ins kalte Wasser und beschreiben das Geschehen einfach so, wie es ist.
Warum ist es so wichtig, Audiodeskription auch für große Liveshows anzubieten?
Jeannette Diem: Medien sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Sie bieten uns nicht nur Informationen, sondern auch Gesprächsstoff. Es freut uns sehr, dass auch Blinde und Menschen mit Sehbehinderung eine bildgewaltige Show wie „The Masked Singer“ ohne größere Einschränkungen verfolgen können. Das positive Feedback motiviert meine beiden Kolleginnen und mich immer wieder aufs Neue, barrierefreie Inhalte zu schaffen.
Benedikt Hahn: Ich kann Jeannette hier nur zustimmen. Ich finde es toll, dass diese Show, dieses Fernsehevent, Live-Audiodeskription bietet. Uns erreichen regelmäßig Rückmeldungen von blinden und sehbehinderten Menschen. Kürzlich erzählte mir einer von ihnen, dass sie sich gegenseitig tatsächlich fragen: Hast Du gestern „The Masked Singer“ gesehen? Sie benutzen genau diese Worte, können wie alle anderen Zuschauer auch mitreden und sich über die Kostüme unterhalten. Ohne die Live-Audiodeskription wäre „The Masked Singer“ für diese Community nur eine weitere Musikshow. Die Kostüme, die Atmosphäre, die liebevollen Details – all das würde ihnen entgehen. So können sie über das pinke Monster oder den Wuschel mitdiskutieren. Mehr Inklusion. Mehr Barrierefreiheit für alle. Das ist toll!
Challenge – die erste voll inklusive Sendereihe
Im Rahmen der Reportagereihe „Challenge“ produzieren Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen monatlich eine Reportage für behinderte Mitmenschen. Das Ziel der Sendung? Menschen mit einer Behinderung motivieren, nach ihren jeweiligen Voraussetzungen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und nichtbehinderten Menschen das Leben mit einer Behinderung näher zu bringen. „Challenge“ ist eine von der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien e.V. (abm) produzierte Sendung und wird einmal monatlich in SAT.1 GOLD und bei Kabel Eins ausgestrahlt.
Die abm, die Bayerischen Medien Technik GmbH (bmt) und das Institut für Rundfunktechnik (IRT) haben zudem gemeinsam das Pilotprojekt „Fernsehen für Alle – voll inklusiv mit HbbTV“ entwickelt und führen dieses durch. Im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen der abm und ProSiebenSat.1 konnte in diesem Jahr die Mediathek der Arbeitsgemeinschaft in das HbbTV-Angebot der Sender SAT.1 GOLD und Kabel Eins integriert werden. Damit kann „Challenge“ komplett barrierefrei, d.h. mit Untertitel, Audiodeskription, Gebärdensprachdolmetscher und leichter Sprache, angeboten werden und ist damit die erste voll inklusive Sendereihe!
Wie Audiodeskription sich „anhört“
„Der Astronaut klatscht in die Hände, ein Security stellt sich hinter ihn, ein weiterer mit Sonnenbrille kommt hinzu. Sie salutieren voreinander. […] Ein Security mit Glatze und Bart öffnet ihm wohl unten am Kinn einen Verschluss. Er steht mit dem Rücken zum Publikum. […]. Jetzt wird der Helm, besetzt mit abertausenden Strasssteinchen, gelüftet. Zum Vorschein kommt ein Kopf mit einer Kopfbedeckung in Weiß. Diese wird auch noch mal gelupft – da ist der Security noch dran, nestelt am Hinterkopf. Und da ist er befreit! Kurz geschorenes Haar, blondes Haar. Er geht in die Knie – noch immer mit dem Rücken zum Publikum –, streicht sich über den Kopf… Und es ist: Max Mutzke!“