CO2-Emissionen reduzieren, Ressourcen schützen, Plastikabfälle auf ein Minimum beschränken: Umwelt- und Klimaschutz ist ein zunehmend wichtiger Aspekt bei Film- und Fernsehproduktionen. Mit der Pilot-Initiative „Sauber gedreht!“ hat ProSiebenSat.1 im Jahr 2019 einen umfassenden Maßnahmenkatalog auf den Weg gebracht, um bei TV-Produktionen grüner zu werden.
Sie sind aus der aktuellen Medienberichterstattung nicht mehr wegzudenken: Bilder vom Plastikteppich im Pazifik, von der Zerstörung des Amazonas-Regenwalds oder von ausgetrockneten Landstrichen als eine von vielen Folgen des Klimawandels. Und gerade weil es die TV- und Medienhäuser sind, die diese Bilder um den Globus schicken, kommt ihnen selbst eine besondere Verantwortung zu, findet Stefan Thul von ProSiebenSat.1: „Auch wenn die Film- und Fernsehproduktion einen geringen Anteil am gesamten CO2-Ausstoß und der Umweltverschmutzung trägt, haben wir als Medien eine Vorbildfunktion, mit der wir ein Umdenken in der Gesellschaft und der Wirtschaft anstoßen können. Und dieser Vorbildfunktion müssen wir alle gerecht werden.“
Als Executive Vice President Production Management bei ProSiebenSat.1, ist Stefan Thul für die wirtschaftliche Steuerung und Administration sämtlicher Film- und Fernsehproduktionen der Gruppe verantwortlich. Seine Abteilung selbst bezeichnet er als „Nadelöhr“: „Es gibt keine Produktion bei unseren Sendern, die nicht über unseren Tisch läuft und von uns in Auftrag gegeben wird, sei es für ‚The Masked Singer‘, ‚taff‘ oder ‚Jerks‘. Es war daher nur logisch, dass das Thema ‚Green Productions‘, also Produktionen unter ökologisch nachhaltigen Aspekten, auch von uns initiiert und zentral ausgerollt wird.“
als Medien haben wir eine Vorbildfunktion, mit der wir ein Umdenken in der Gesellschaft und der Wirtschaft anstoßen können.
Stefan Thul Executive Vice President Production Management ProSiebenSat.1
Vier Handlungsfelder im Fokus
Diskutiert hat die Branche über Klima- und Umweltschutz nicht erst seit Greta Thunberg: „Sowohl in unserem Team als auch auf Konferenzen stand der ökologische Fußabdruck unserer Industrie immer wieder auf der Agenda. Irgendwann sagten wir uns: ‚Es ist keine Raketenwissenschaft, lasst es uns für ProSiebenSat.1 einfach anpacken‘.“ Im Juni 2019 war es dann soweit: Aus allen Bereichen des Sender- und Produktionsgeschäfts wurden Vertreter an einen Tisch geholt. Beratend stand der externe Nachhaltigkeitsexperte Philipp Gassmann zur Seite. Ein halbes Jahr später stand ein umfassender Maßnahmenkatalog mit 14 Zielen für grüne Produktionen. Der Titel: „Sauber gedreht!“. Im Zentrum stehen die Handlungsfelder CO2-Emissionen reduzieren, natürliche Ressourcen schützen, umweltschädliche Substanzen vermeiden sowie Plastik reduzieren und Müll in allen Produktionen schrittweise verbessern.
Thul geht ins Detail: „Beim Stromverbrauch und den Reisen für die Drehs und Recherchen liegen unsere größten Einsparpotenziale. Wenn wir beispielsweise LED-Technologie für die Beleuchtung verwenden, können wir Energieeinsparungen von rund 90 Prozent erzielen. Mit Ökostrom stoßen wir 90 Prozent weniger CO2 im Vergleich zum deutschen Strommix aus. Und vor jeder Flugreise prüfen wir nun, ob die Fahrt mit der Bahn oder noch besser Videokonferenzen eine Option sind. Innerdeutsche Flüge werden wir auf ein absolut notwendiges Minimum beschränken.“ Daneben beinhaltet der „Sauber gedreht!“-Katalog Empfehlungen zur Mülltrennung, zur Materialverwendung für den Kulissenbau sowie ein Verbot von Einweggeschirr und -flaschen aus Plastik, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
14 Ziele
für ökologisch nachhaltige Fernseh- und Filmproduktionen hat ProSiebenSat.1 bei der „Sauber gedreht!“-Initiative formuliert, darunter auch folgende:
Energie: An sämtlichen Produktionsstätten, Studios und Büros soll ausschließlich Öko-Strom bezogen werden. Damit erreichen wir 90% weniger CO2 im Vergleich zum deutschen Strommix.
Licht: Mit LED-Technologie sind Energieeinsparungen von bis zu 90% machbar. Daher sollen 90% der kalkulierten Einheiten LED-Scheinwerfer sein.
Reisen / Flüge: Flugreisen innerhalb Deutschlands sollten auf ein notwendiges Minimum beschränkt werden. Es sollte bei jeder Flugreise geprüft werden, ob die Fahrt mit der Bundesbahn oder Videokonferenzen nicht gute Alternativen sind.
Catering: Das Catering soll regionale und ökologische Lebensmittel mit einem Anteil von mindestens 50% fördern. Außerdem muss immer eine vegetarische Alternative angeboten werden. Ziel ist, den Fleischkonsum zu reduzieren.
Umweltschädliche und giftige Substanzen: Styropor, PVC, Isocyanate, lösemittelhaltige Farben und weitere umweltschädliche Substanzen sind zu vermeiden.
Plastik: Einweggeschirr aus Plastik und Einwegplastikflaschen sind nicht erlaubt. Einwegplastik – auch im Büro – ist generell zu vermeiden und durch umweltfreundlichere Lösungen zu ersetzen.
Mülltrennung: Eine ordentliche Mülltrennung (Papier, Glas, Plastik, Metall, Biomüll) ist Pflicht an jeder Produktionsstätte sowie in den Büros.
Wir wollen gemeinsam eine Marktbewegung schaffen
Im Januar 2020 schickte ProSiebenSat.1 den Maßnahmenkatalog an rund 100 Produzenten und startete damit die einjährige Pilotphase. Seither wird das Projekt sukzessive auf alle neuen deutschen Produktionen des Konzerns ausgeweitet. Das klare Ziel: negative ökologische Auswirkungen in den Abläufen so weit wie möglich reduzieren. Und das im Dialog mit der gesamten Film- und Fernsehindustrie. „Wir wollen gemeinsam eine Marktbewegung schaffen“, so Thul. „Im Moment ist der Markt noch nicht derart aufgestellt, dass wir bei jeder Produktion jede einzelne Maßnahme umsetzen können. Stichwort: Zugang zu Ökostrom bei Drehs außerhalb unseres eigenen Campus. Aber je mehr wir nachfragen, umso mehr können wir auch erreichen.“ Erste Erfolge lassen sich bereits sehen: So bezieht einer der großen Studiodienstleister in Köln auf Treiben von ProSiebenSat.1 hin heute Ökostrom.
Aktuell testet das Team von Stefan Thul die praktische Umsetzung der Handlungsempfehlungen, im Sommer soll es dann in den Routinebetrieb gehen. Auch einen CO2-Rechner zur einheitlichen Berechnung der Emissionen für alle Produzenten integrieren sie derzeit in die TV-Kalkulationen. So wird eine zuverlässige Datengrundlage geschaffen, die den tatsächlichen Verschmutzungsgrad einzelner Projekte dokumentiert. Erst nach der Pilotphase möchte Thul entscheiden, welche Maßnahmen künftig zu verbindlichen Auftragskriterien für Produzenten werden sollen. Was bisher noch eine Empfehlung ist, ist für Auftragsnehmer dann verpflichtend.
Und wie kommt „Sauber gedreht!“ bei den Produzenten an? „Unser Pilotprojekt fällt auf fruchtbaren Boden“, erzählt Thul. „Das tolle an unserer Branche ist, dass hier eine Menge begeisterungsfähiger Menschen arbeiten, die sich von Natur aus gerne neuer Themen annehmen. Viele Produktionsfirmen, wie unsere hauseigene Tochter Redseven Entertainment, hatten zuvor bereits selber erste Recherchen oder Initiativen in Sachen ‚Green Productions‘ gestartet und freuen sich, dass sie jetzt einen ausführlichen Leitfaden mit konkreten Handlungsempfehlungen an die Hand bekommen haben. Das kommt gut an!“
Wie sehr die Film- und Fernsehwirtschaft hier an einem Strang zieht, zeigt auch die gemeinsame Branchenerklärung für Nachhaltigkeit in der Film- und Serienproduktion. Diese haben zahlreich Industrievertreter, darunter Annette Kümmel, Chief Sustainabilty Officer bei ProSiebenSat.1, am 19. Februar 2020 auf Einladung des Staatsministeriums für Kultur und Medien in Berlin unterzeichnet. Das erklärte Ziel: Nachhaltigkeit künftig verstärkt auf die Agenda zu setzen und dabei ökologisch wie auch ökonomisch und sozial verantwortliches Handeln in den Vordergrund zu stellen.
3 Fragen an:
Tobias Gramann
Produktionsleiter Redseven Entertainment
Eine der deutschen Produktionsfirmen, die mit gutem Beispiel beim Umwelt- und Klimaschutz vorangeht, ist Redseven Entertainment. Das Tochterunternehmen der Red Arrow Studios treibt „grüne Drehs" bereits seit einiger Zeit voran und hat dazu unter anderem interne Leitlinien formuliert.
Tobias, bei Redseven bist Du auch für übergeordnete Themen wie Nachhaltigkeit zuständig. Wie macht Ihr Eure Produktionen grüner?
Vor jeder Produktion gibt es schon seit jeher eine große Runde, in der wir mit der Geschäftsführung und allen Beteiligten jeden Aspekt der Produktion durchsprechen und planen. Seit 2019 ist das Thema Nachhaltigkeit ein fixer Bestandteil davon. Wir prüfen jedes einzelne Ziel unseres selbstauferlegten Maßnahmen-Katalogs auf Umsetzbarkeit, und zwar mit allen Dienstleistern, vom Caterer über den Kulissen-Bauer bis hin zum Licht- und Ton-Techniker. Bei all‘ dem gilt: Vermeidung hat oberste Priorität, sei es von Abfällen, Flugreisen oder Stromverbrauch. Wichtig ist aber auch die Erfolgsmessung im Nachgang. Wir dokumentieren sehr präzise, um bei der nächsten Produktion von unseren Erfahrungen zu profitieren.
Während das Team rund um Stefan Thul die „Sauber gedreht!“-Kampagne aufgesetzt habt, hat Redseven parallel selbst Maßnahmen für ökologische Nachhaltigkeit definiert. Wie kam es dazu?
Wir haben unabhängig voneinander die Notwendigkeit von Umwelt- und Klimaschutzzielen für unser eigenes Handeln erkannt. Man könnte sagen: Zwei Vorreiter, ein Gedanke. Als wir davon erfuhren, haben wir unsere Erkenntnisse natürlich gleich geteilt, unsere Konzepte verglichen und festgestellt, dass beide Seiten nahezu die gleichen Handlungsempfehlungen definiert haben. Daraufhin haben wir noch ein paar Punkte präzisiert, so dass wir im Zusammenspiel einen wirklich ausführlichen und fundierten Katalog aufstellen konnten. Und noch heute tauschen wir uns eng mit den „Sauber gedreht!“-Kollegen“ zu den Fortschritten aus.
Wie wirkt sich Euer grünes Engagement auf Mitarbeitermotivation und potenzielle Bewerber aus?
Mit unserem Engagement schaffen wir auf jeden Fall einen ganz neuen Anreiz für die junge Generation, sich wieder vermehrt für Produktionsberufe zu entscheiden. Auch bei den Mitarbeitern kommt das Thema gut ein – einfach, weil man merkt, dass wir alle durch bewussteres Handeln einen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz liefern können.